Auszeit – Das hat für uns alles verändert

Von außen betrachtet sah unser Einzug ins Vollzeit Nomaden Leben vielleicht einfach aus. Das der Weg dorthin über Jahre aber voller Unsicherheiten, Erschöpfung und Schmerz verbunden war, ist vielleicht gar nicht so ersichtlich. In diesem Beitrag nehmen wir Dich also mit auf eine kleine Zeitreise. Was wir durchgemacht haben und welche tragende Rolle unsere zweitmonatige Auszeit in Spanien bei unserer Entscheidung gespielt hat, erfährst Du in diesem Beitrag. Viel Spaß beim Lesen 🙂

Erster Vanausbau

Aber fangen wir ganz vorne an. Im Jahr 2020 haben wir unsere Wohnung gekauft und zeitgleich einen leeren Van. Nachdem die Wohnung fertig war, haben wir „Harvey“ selbst ausgebaut. Einen detaillierten Beitrag dazu findest Du hier. Wir machen also Urlaube, fahren über Wochenenden weg und genießen das minimalistische Leben so oft es geht. Die Komplettsanierung der Wohnung während der Corona-Pandemie, der Vanausbau in jeder freien Sekunde neben den Vollzeitjobs und die immer wieder verschobene Hochzeit haben ihre Spuren hinterlassen. Irgendwas ist passiert, so richtig wohl fühlen wir uns nicht. Wir beide haben durch ungünstige Verhältnisse innerhalb unserer Beschäftigungen zusätzlichen Stress. Schon komisch, so könnte man meinen, dass man mit zwei Autos, einem Van und einer luxuriösen, modernen 120 m2 Wohnung und doppeltem Einkommen total glücklich sein müsste. Olli hat schon seit Jahren das Gefühl, er müsse mal ausbrechen. Der „normale“ Alltag fühlt sich schon lange nicht mehr richtig an. Die Immobilienpreise steigen, und 2022 schlägt er Anika vor, die Wohnung zu verkaufen, um in Van zu leben. Das versteht Anika, kann sich aber nicht mit dem Gedanken anfreunden, schließlich haben wir so viel Arbeit in die Wohnung gesteckt. Für Olli ist es auch kein einfacher Gedanke, aber anstatt den Verzicht oder Verlust zu sehen, kann er klar sehen, was er dafür bekommt – Eine gewisse Zeit Unabhängigkeit, um die Karten neu zu mischen.

Wir machen es möglich

Wir behalten die Wohnung. Weil wir aber schon seit unserem ersten Spanienurlaub 2021 das Ziel haben, mal länger als drei Wochen unterwegs zu sein und immer nur gesagt haben „irgendwann machen wir das mal“ machen wir jetzt Nägel mit Köpfen. Wir setzen uns zusammen und überlegen, wie wir das realisieren können. Sabbaticals bieten unsere damaligen Arbeitgeber nicht an. Im Laufe der Zeit erfahren wir durch Gespräche und Recherche, dass im Grunde jeder das Recht auf unbezahlten Urlaub hat; natürlich muss das mit dem Arbeitgeber abgestimmt werden. Olli bekommt das hin, nicht zuletzt wegen einer vorbildlichen Vorgesetzten, und sammelt seinen Jahresurlaub an und verbindet dieses mit knapp einem Monat unbezahlten Urlaub. Anika hat die Möglichkeit, durch lange angesammelte Überstunden freizunehmen und kombiniert das mit dem Jahresurlaub. Mit fast einem Jahr Planung im Vorfeld können wir ganz einfach ein ausgefallenes Gehalt durch Sparen kompensieren.

Es wird erst schlimmer, bevor es besser wird

Zweiter Vanausbau. Unsere Bedürfnisse an den Van haben sich im Laufe der Zeit geändert. Zwei Monate darin leben ist auch etwas anderes als 2-3 Wochen. Also bauen wir den Van wieder in jeder freien Sekunde um. Das Projekt Umbau wird größer als ursprünglich geplant. Um den großen Wassertank überhaupt einbauen zu können, muss alles raus. Also krempeln wir alles auf links. Spoiler-Alarm: Das hat sich durchaus gelohnt. Wir finden gar keine Ruhe mehr, es kommen viele Dinge zusammen. Allergie, Stress, mangelnde Freizeit, weil wir den Urlaub ja aufgespart haben, die Situation auf der Arbeit. Als wir endlich losfahren, sind wir total fertig und oft nicht besonders nett zueinander. Vielleicht haben wir uns über all die Jahre zu viel zugemutet und die falschen Dinge priorisiert. Wir haben uns als Paar irgendwie voneinander entfernt. Diese Auszeit hat einen hohen Preis.

Ein paar Schritte Richtung Klarheit?

Nach dem ganzen Wahnsinn geht es endlich los. Wir können es kaum glauben. Wir sind jetzt wirklich zwei Monate unterwegs. Einfach mal auf Pause drücken. Aber was wäre ein Abenteuer ohne Startschwierigkeiten? AdBlue im Dieseltank. Ab in die Werkstatt. Auspumpen. Ein unbequemes Bett. Ein total überfülltes Nordspanien. Wir überwinden all das und fahren kurzerhand in den Süden und verbringen in aller Ruhe ungeplant fast sieben Wochen mit Freunden, die bereits einige Jahre im Van leben. Wir haben einfach eine traumhafte Zeit in der Natur und genießen das Leben in vollen Zügen. Doch es gibt auch Tränen, ernste Gespräche und Frust. Irgendwann holen einen die aufgeschobenen Gespräche und das „Runterschlucken“ von Problemen ein. Jetzt ist Raum dafür da. Es ist teilweise alles andere als angenehm, aber am Ende heilsam. In vielen Gesprächen merkt Anika, dass sie sich ein Leben im Van schon vorstellen kann, aber sie immer eine Blockade und Angst spürt. Mit der Zeit geht sie dem auf den Grund und beleuchtet den Ursprung der Sorgen und Zweifel. Wir reden viel darüber, auch mit unseren Freunden, und stellen fest, dass die beiden in der gleichen Situation waren, die gleichen Ängste hatten und im Nachhinein nur noch darüber lächeln. Die nächsten 30 oder 40 Jahre so weiter machen wie bisher fühlen wir gar nicht. Uns geht es insgesamt ja nicht schlecht, aber es erfüllt uns auch nicht. Es fühlt sich schon ein wenig so an, als würden wir jeden Tag den gleichen Tag wiederholen. Das kommt uns etwas trist vor. Und langsam fangen wir an, zu überlegen, wie wir uns ein Leben im Van ermöglichen könnten. Wenn wir eins als Paar gelernt haben, dann, dass wir mit genug Zeit und Geduld unsere Träume wahr machen können. Wir merken, dass wir uns als kreative Menschen in Festanstellungen nicht so richtig austoben können. Wir genießen zwar die Menschen, die Projekte und auch das Lösen von Problemen, haben aber das Gefühl, den Fokus verloren zu haben und aus dem Gleichgewicht gekommen zu sein. Vielleicht ist es wieder Zeit für Selbstständigkeit. Wir sind unschlüssig, ob wir die Wohnung verkaufen oder vermieten würden. Mit groben Ideen verlassen wir Spanien, sind aber irgendwie immer noch tief in uns drin aufgewühlt und haben mehr Fragen als Antworten.

Kataklysmus oder Katalysator?

Kann es noch schlimmer werden? Na Logo. Es ist uns klar, dass wir uns nach zwei Monaten „Urlaub“ erst einmal wieder ins 40-Stunden-Arbeitsleben eingrooven müssen. Nach wenigen Tagen wird uns aber bewusst, dass uns das gar nicht mehr guttut. Wir denken schon lange über unsere persönlichen Werte nach und haben zunehmend ein Problem mit dem gedankenlosen Konsum, den wir selbst betreiben, sich z.B. mit online Bestellungen zu belohnen, am Ende aber einfach immer mehr Krempel kaufen, denn wir nicht wirklich brauchen. Die Wegwerfgesellschaft ist uns irgendwie zu wieder, unser Umgang mit begrenzten Ressourcen auch und wir zweifeln am Kapitalismus und fragen uns, wie nachhaltig unsere aktuellen Lebensumstände sind. Während wir Möglichkeiten abwägen, unser Leben besser nach unseren Werten auszurichten, wird Olli krank und bekommt stetig schlimmer werdende Magenprobleme. Das hat er so noch nicht erlebt. Die Erschöpfung und das Gefühl der Sinnlosigkeit werden immer stärker. Anika ist derweilen in einer neuen Beschäftigung und genießt den Tapetenwechsel und die kreative Arbeit in vollen Zügen. Nach ein paar Monaten gibt es auf Anikas Arbeitsstelle eine unvorhergesehene Umstrukturierung, sodass ihre Position in Gefahr ist. Das war der Moment, an dem wir schlussendlich die Entscheidung getroffen haben und mutig genug wurden, um unseren jahrelangen Traum zu leben. Wir nutzen all unsere Lebens- und Berufserfahrungen, um etwas Wundervolles, Eigenes zu schaffen. Wir haben uns mittlerweile entschieden, die Wohnung zu inserieren und zu schauen, was passiert. Überraschend schnell melden sich potenzielle Interessenten. Nachdem Ollis Arzt von dem Vorhaben erfährt, sagt er mit gruseliger Sicherheit, dass die monatelangen Magenbeschwerden an dem Tag verschwunden sein werden, wenn wir in den Van ziehen. Er sollte damit recht behalten.

Ein Fazit

Wir haben nach vielen Jahren gemerkt, dass wir ein Leben gelebt haben, das gar nicht unbedingt unseres war. Viele Dinge taten wir, weil wir einfach glaubten, es müsse so sein. Dass wir im Grunde nie bewusst eine Wahl getroffen haben, merkten wir erst spät. Irgendwie haben wir im Autopilot gelebt, auch weil wir glaubten, dass irgendjemand das so von uns erwartet. Wenn dieser Zustand länger anhält, dann sollte man vielleicht wirklich, wie wir mit der Auszeit, einen sicheren Abstand ermöglichen, um sich die Chance zu geben, durch Distanz Klarheit zu erlangen. Wir sind dankbar, diesen Schritt nicht schon vor Jahren als Kurzschlusshandlung gemacht zu haben. Wir haben irgendwo die Stärke hergenommen, das alles gemeinsam zu durchleben. Auch wenn wir dadurch Zeugen von viel Leid und Schmerz wurden, so hat das alles für uns Klarheit gebracht. Schließlich haben wir schon einiges zusammen erlebt. Wir waren selbständig, hatten kaum Geld, ein Gehalt und auch zwei ganz gute Gehälter mit dreizehntem Monatsgehalt. Große Wohnung, kleine Wohnung. Ein Auto, drei Autos. Wir haben genug erlebt, um für uns zu wissen, dass die Lebensumstände für uns keine große Rolle spielen. Oder eben nicht die Größte. Natürlich möchten wir nicht in Zwangsarmut leben, aber davon sind wir auch weit entfernt. Körperliche und geistige Gesundheit haben für uns neben Selbstbestimmtheit Priorität, denn ohne dieses Fundament stürzt jedes noch so schöne Haus irgendwann ein. Die wichtigen Dinge in unserem Leben sind wir, jeder für sich selbst und auch als Paar. Wir leben jetzt mehr im Einklang mit unseren Werten wie z.B. Nachhaltigkeit und können die Dinge priorisieren, die für uns wichtig sind. Dadurch, dass wir reduzierter und selbstbestimmter leben und auch nicht zwingend 40 Stunden pro Woche arbeiten müssen, haben wir mehr Raum, um uns über Dinge klar zu werden und an uns zu arbeiten. Dafür braucht man kein Vanlife oder permanentes Reisen. Das wollen wir ganz deutlich klarmachen. Vanlife alleine löst keine Probleme, dazu werden wir aber einen separaten Beitrag veröffentlichen, da wir zunehmend merken, dass Menschen dies scheinbar für die Lösung aller Probleme halten und dann furchtbar enttäuscht sind, dass es nicht so ist. Vanlife ist für uns die Kirsche auf der Sahne. Wir sind ja auch Fotografen und gerne in der Natur und hatten den Van nun mal schon. Wir glauben übrigens nicht, dass wir bis zum Ende unserer Tage im Van leben werden. Aber jetzt gerade fühlt es sich richtig an und tut uns einfach nur gut. Wir müssen auch nicht Entscheidungen für die nächsten 40 Jahre treffen. Wir haben gelernt, immer etwas Raum für Magie zu lassen. Und weil wir nicht so gebunden an Ort und Zeit sind, haben wir viel eher die Chance, spontane Gelegenheiten wahrzunehmen, um einzigartige Abenteuer zu erleben. Wir bereuen keine Sekunde, diesen Schritt gegangen zu sein und fühlen uns lebendiger, wacher und irgendwie erfüllter.

Wir hoffen, dass wir durch diesen Blog und unsere Abenteuer Menschen dazu inspirieren können, ihre eigenen Werte zu finden, bewusstere Entscheidungen zu treffen, um im besten Fall am Ende ein erfüllteres Leben führen zu können.

Frohes Abenteuern,
A&O

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